Interview BauernZeitung Nr. 48 vom 30.11.2023

Der Kampf gegen das "Totschweigen"

 

Als Mediatorin hilft Martina Haunholter Bauernfamilien in schwierigen Situationen. Die Kommunikation ist eine der größten "Baustellen" des privaten und betrieblichen Alltags.

 

Frau Haunholter, in welcher Situation ist eine Mediation am Hof gefragt?

HAUNHOLTER: Landwirtschaftliche Betriebe sind aufgrund der steten Vermischung und Verwobenheit von Betrieb und Familie sehr komplex. Es gilt die unterschiedlichen Interessen, der stetig zusammen am Hof lebenden und arbeitenden Generationen unter einen Hut zu bringen. Eine Trennung zwischen Arbeit und Privatem ist kaum möglich. Dies führt oftmals zu unklaren Rollen- u. Kompetenzzuweisungen und erschwert sohin das Zusammenleben und Zusammenarbeiten am Hof. Mediation wird eingesetzt, wenn Spannungen und Konflikte bereits das Alltagsleben erschweren. Hier hilft Mediation den Beteiligten durch Einbeziehung eines neutralen Dritten, eingefahrene Streitmuster zu durchbrechen und  nicht im Konflikt stecken zu bleiben. Die strukturierte Gesprächsführung der Mediation wirkt deeskalierend. Ebenso werden Gefühle und Bedürfnisse, welche in Konflikten IMMER eine Rolle spielen berücksichtigt. Mediatoren helfen Ängste ab- und Vertrauen aufzubauen und unterstützen, dass Familienmitglieder den Zugang zueinander wieder finden. Mediation kann aber auch präventiv als „Deal“Mediation angewendet werden, um Konflikte vorab bereits zu vermeiden. Bei betrieblichen (Hofübergabe, Betriebsumstellung, Pacht, …)  oder privaten (Einheirat, Pflege, Tod, …) Veränderungen ermöglicht eine „Deal“Mediation, dass Familienmitglieder von Vornherein  klare und geregelte Rollen- und Kompetenzzuweisungen eruieren. Die Deal Mediation bietet eine gute Chance, Erwartungshaltungen der Beteiligten zu klären, aber vor allem generationsübergreifende Perspektiven zu diskutieren, neu zu entwickeln und ungeahnte Fähigkeiten und Potentiale des Betriebes als auch der Familienmitglieder zu finden und in zukünftiges Zusammenleben und Zusammenarbeiten gewinnbringend miteinfließen zu lassen. 

 

Welche Vorteile bietet eine Mediation?

HAUNHOLTER. Mediation unterstützt, Bedürfnisse und Interesse jedes einzelnen Familienmitgliedes zu erfahren - sie schafft sowohl Klarheit als auch eine tiefere Verbindung untereinander. Eine Aussprache mit allen Beteiligten sorgt dafür, dass alle gehört und miteinbezogen weren, statt vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Auch sensible, heikle Thmen kommen auf den Tisch und werden nicht totgeschwiegen.  Und durch den Blick hinter Positionen auf die Bedürfnisse der Beteiligten können wahre Konfliktursachen hervorgehoben und berücksichtigt werden, ebenso werden Wünsche sichtbar gemacht. Bei der gemeinsamen Lösungssuche werden Entscheidungen eigenverantwortlich und selbstbestimmt ausverhandelt, was ein besseres Verständnis für nachhaltige Vereinbarungen schafft. Wir streben die Kooperation anstell der Konfrontation an und suchen nach Win-Win-Lösungen für alle Beteiligten.

 

Die Hofübergabe ist leider eines der gängisten Streitthemen.

HAUNHOLTER: Im Grunde sind Hofübergaben überall meist mit denselben Problemen konfrontiert. Für Übergebende bedeutet es, das eigene Lebenswerk an die nächste Generation abzugeben. In Tirol  haben wir das Glück, dass es noch viele Junge gibt, die Interesse an der Übernahme eines Hofes haben, jedoch wird es zum Problem, wenn mehrere Kinder sich die Übernahme des Hofes vorstellen können und hier eine Entscheidung getroffen werden muss, da ein Hof nicht aufgeteilt werden kann.Weiters bedeutet eine Übergabe immer ein Loslassen von Verantwortung und Entscheidungsgewalt. So fordert eine HÜG betriebliche, zukünftige Entscheidungen der nachfolgenden Generation zu überlassen und nur mehr in einer Rat gebenden, unterstützenden Funktion am Betrieb tatkräftig mitarbeiten zu können.   Übernehmende sind oftmals hin und hergerissen. Als zukünftige Eigentümer gilt es Rechte und Verpflichtungen,  sowie die gesamte Verantwortung für den Fortbestand des Betriebes zu tragen. Den Erwartungen der Übergebenden, der weichenden Geschwister und der Partnerin/des Partners gerecht  werden zu wollen und gleichzeitig eigene Wege der Betriebsführung anstreben zu können,  erzeugt oftmals immensen Druck.  Weichende „verlieren“ durch die Übergabe ihr Elternhaus, welches dem Rauswurf aus dem Nest gleichkommt.  Als Ausgleich für den Verzicht wünschen sie sich eine gerecht empfundene Gegenleistung. 

Vor allem in Tirol stellt die Abfindungsregelung vermehrt Konfliktpotentiale dar. Eine materiell gerechte Übergabe ist aufgrund des enormen Unterschiedes zwischen Ertrags- und Verkehrswert kaum mehr möglich, Bauplätze für Weichende sind kaum mehr realisierbar; so passiert es, dass die Übergabe gar nicht oder lange hinausgezögert wird oder nur teilweise geregelt stattfindet, indem Pflichtteilsverzichte nicht unterschrieben werden, was oftmals zu fatalen Folgen aufgrund von Erbstreitereien nach Ableben des Erblassers führt. Für Weichende bedeutet die Hofübergabe oftmals eine emotionale Zurückweisung, da vielfach erwartet wird den Verzicht des Hofes widerspruchslos hinzunehmen. Auch wenn die Diskussion oft um Vermögenswerte kreist, geht es vielfach tatsächlich um Fragen der Wertschätzung der Eltern. Kinder wollen gesehen, gehört und als „gleichwertiges Kind“ akzeptiert werden. Ihre Mithilfe am Betrieb bedarf einer Würdigung.  Werden Weichende frühzeitig in Nachfolgegespräche miteinbezogen, kann das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt  und das Gefühl der Übervorteilung zurückgewiesen werden. 

 

 Wie lässt sich offen kommunizieren, wenn die Fronten schon verhärtet scheinen?

HAUNHOLTER: Bauernfamilien neigen dazu familiäre Schwierigkeiten nach außen zu  beschwichtigen.  Aus Angst vor Konflikten werden heikle Themen totgeschwiegen, man geht sich oftmals gezielt aus dem Weg oder zögert wichtige Entscheidungen hinaus.  Diese vom Schweigen geprägten Konflikte bedrohen die Existenz eines jeden Betriebes und belasten das familiäre Zusammenleben.  Konflikte sind Krise und Chance zugleich – Es geht darum auftretende Probleme und Herausforderungen anzunehmen, sie zu bearbeiten um danach gestärkt und mit Nutzen für jeden Beteiligten herausgehen zu können. Ein professioneller Umgang mit diesen Divergenzen ist für die gesamte Familie und für den Betrieb gewinnbringend.  Deshalb ist Mediation, vor allem bei verhärteten Fronten die geeignete Methode.

 

Wie funktioniert die Mediation in der Praxis?

HAUNHOLTER: Die Mediation ist ein ganz strukturiertes Verfahren und verläuft in der Regel in 5 Phasen. Als Mediatorin ist es in erster Linie meine Aufgabe die Dynamik des Konfliktes zu verlangsamen. Durch die gezielte und strukturierte Gesprächsführung, als auch gezielt gesetzte Interventionen,  werden Streitmuster durchbrochen, alle Beteiligten kommen zu Wort und werden gehört.  Es geht nicht darum zu urteilen und zu bewerten, was richtig und falsch ist. Die Mediation zielt darauf ab, Sichtweisen und Emotionen des anderen nachvollziehen und verstehen zu können, Bedürfnisse zu verdeutlichen und gemeinsam einen zukünftigen Weg zu erarbeiten, der von alle Beteiligten akzeptiert und umgesetzt wird.  Eingetragene Mediator/innen unterliegen der Verschwiegenheitspflicht, als auch der Allparteilichkeit. Wir sind keine Berater, keine Richter und auch keine Therapeuten. Ziel ist es eine Gesprächsbasis herzustellen, das Gegenseitige Verständnis zu verbessern und Parteien zu unterstützen, eigenverantwortlich eine Lösung ihres Problems zu finden.Wem der Fortbestand des Betriebes und der Zusammenhalt der Familie wert genug sind, wird das Gespräch suchen. Unter Einbeziehung eines Mediators/einer Mediatorin verlaufen diese Gespräche professionell, zukunfts- und lösungsorientiert. 

 

Welchen Rat würden sie Bauernfamilien, die vor einer schwierigen Situation, stehen, geben?

HAUNHOLTER: Das Totschwiegen von Bedürfnissen, und Familienmitglieder vor vollendete Tatsachen zu stellen hat fatale Auswirkungen auf die Zukunft des Betriebes und auf das Zusammenleben der Familie. Ein landwirtschaftlicher Betrieb ist ein komplexes Familiensystem - damit dieser langlebig und nachhaltig existieren kann, braucht es den Zusammenhalt der gesamten Familie, eine geregelte Übergabe, gute generationsübergreifende Zusammenarbeit von Übergebenden und Übernehmenden sowie das Netzwerk von Weichenden, die auch nach der Übergabe zu Fürsprechern für die Landwirtschaft werden. Jeder Einzelne hat seinen Beitrag zu leisten.  Vor allem bei Nachfolgeregelungen obliegt es der Verantwortung und Verpflichtung des Eigentümers, für eine geregelte Übergabe zu sorgen, damit der Fortbestand des Hofes gesichert ist. Und dafür sind Gespräche mit allen Beteiligten unabdingbar. Ich rate Bauernfamilien deshalb, Konflikte als ganz natürlich und überall vorkommend anzusehen, sie anzunehmen und die Chance dieser Krise bestmöglich zu nutzen. Keine Scheu zu haben, sich mittels einer Mediation dans Know-how von qualifizierten FAchkundigen einzuholen, um aus schwierigen Situationen und bei wichtigen Entscheidungen das Beste für Betrieb und Familie herauszuholen. Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 

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